29.5.06

Kartenspiele

Versetzen wir uns einmal ins viktorianische England, Ende des 19. Jahrhunderts. Ein hübsch befrackter Gentleman stattet einer adligen Lady einen Besuch ab. Um sich höflich anzukündigen, legt der Gentleman dem Butler ein Kärtchen aufs silberne Tablett. Auf diesem Kärtchen steht nichts als der Name und Titel des Gentleman, unter Umständen geschmückt durch die heraldischen Zeichen seiner Familie. Dank dieser Besuchskarte weiß die Lady des Hauses, wer sie aufsuchen möchte und kann sich, falls der Besuch nicht schicklich ist, höflich durch den Butler entschuldigen lassen.

Es lohnt sich, den historischen Ursprung der Visitenkarte zu studieren. Dadurch wird einem wieder gegenwärtig, wofür die Visitenkarte da ist: Sie sagt mir, wer vor mir steht. Das bedeutet in einem geschäftlichen Kontext auch, dass ich erfahre, für welches Unternehmen und in welcher Funktion diese Person tätig ist. Und als kleinen Bonus erhalte ich noch wichtige Daten wie Telefonnummer, Fax und Adresse, um später wieder mit ihm oder ihr in Kontakt treten zu können.

Mehr Information ist unnötig und schadet der Übersicht, schließlich haben wir normalerweise nicht mehr als 47 Quadratzentimeter Platz. Dennoch werden Visitenkarten oft überfrachtet. Neben den Adressen, Telefonnummern und Durchwahlen sämtlicher Filialen müssen die Werbebotschaften des Unternehmens und die Produktliste Platz finden. Das ganze wird garniert von überbordender grafischer Gestaltung (bloß nicht im Visitenkartenhaufen untergehen!) und einem Foto der Person, die einem die Karte gerade überreicht hat.

Solche Karten führen sich schnell selbst ad absurdum, denn die einzelnen Daten sind im Schwall der Informationen kaum mehr auszumachen. Auch die Fotos verlieren jeden Sinn, weil sie zu klein sind, um noch eine befriedigende Bildauflösung zu erreichen, und so meistens mehr einem verschwommenen Phantombild gleichen. Dann doch lieber persönlich einen guten Eindruck machen, damit das Gesicht nicht so schnell vergessen geht.

Die bessere Strategie ist der Minimalismus. Wenn weniger Informationen auf der Karte stehen, erhält jede Information ihren Platz und damit ihren Wert. Wenige Farben und klare Flächen lassen auch das Logo, so klein es sein mag, seine Wirkung entfalten. Wenn dazu noch der Karton eine gute Stärke und der Druck gute Qualität hat, dann darf sich der Geschäftsmann von heute dem viktorianischen Gentleman verwandt fühlen. Und die Geschäftsfrau der edlen Dame.

23.5.06

Grafische Trends

Im letzten Rundschreiben war vom Zahn der Zeit die Rede, passend dazu haben wir auf der Website der Zeitschrift "Graphic Design USA" einen Artikel gefunden, der 15 aktuelle Trends im Logodesign kritisch beleuchtet. Besonders interessant sind die Widersprüchlichkeiten, die sich aus der Fülle der Trends ergeben. So spricht der Artikel einerseits von einer Tendenz zurück zum klassischen Logodesign, also klaren geometrischen Formen, Zweidimensionalität und professioneller Einfachheit. Andererseits haben IT-Marken wie MSN das Brechen dieser klassischen Regeln schick gemacht: Vielfarbige Transparenzen sind heute akzeptiert, auch wenn in Wirklichkeit nur auf dem Bildschirm und auf Hochglanzpapier gut aussehen. Selbst der Einsatz von Fotos als Logo-Icons wird, trotz all seinen produktionstechnischen Herausforderungen, immer populärer.

Was die Sujets der Logoicons betrifft, lassen sich laut "Graphic Design USA" ebenfalls Trends ausmachen. Ineinanderfließende Tropfen haben in der Zeit der Fusionen und Unternehmensnetzwerke Hochkonjunktur. Auch der Bio-Boom hat sich optisch in großen Corporate Designs niedergeschlagen: natürliche Spiralformen, Tiere und die Farbe Grün sind en vogue. Freehand, Illustrator und Co. machen es heute sehr leicht, zweidimensionalen Logos eine dritte Dimension zu geben: In die Perspektive gekippte geometrische Zeichen, Schattenwürfe und mit eleganter Linie stilisierte Drahtkonstruktionen lassen Icons plastisch und greifbar erscheinen.

Einige dieser Strömungen sind durchaus inspirierend und dürften noch für einige gute Logos Pate stehen. Andere haben ihren Zenit bereits überschritten und werden so häufig gesehen, dass sie Logos einen schalen Beigeschmack geben. Der Unterschied ist äußerst fein, viel Sensibilität ist gefragt, um nicht mit einem Logo dazustehen, dass schon in wenigen Jahren überholt wirkt. Da ist der Weg eines Studios wie Chermayeff & Geismar doch der bessere: Die beiden Herren haben so lange konsequent ihren Stil verfolgt, dass er heute wieder im Trend ist.

15.5.06

Zeichen der Zeit

Die Qualität eines guten Logos zeigt sich oft erst mit der Zeit. Wenn sich die erste Begeisterung über einen knalligen Entwurf einmal gelegt hat, stellen sich möglicherweise Zweifel ein. Was einst originell wirkte, geht einem oft schon nach einigen Monaten auf die Nerven. Umgekehrt kann bei einem guten Logo, das zunächst keinen Aha-Effekt ausgelöst hat, die Wertschätzung mit der Zeit steigen. In der täglichen Arbeit, im praktischen Einsatz bei Kunden, Partnern und im Marketing kann sich das Zeichen bewähren. So zeigt sich, ob das Logo nachhaltig und umsichtig entwickelt wurde. Es zeigt sich auch, besonders nach jahre- und jahrzehntelangem Einsatz, ob das Logo zeitlos ist oder ihm sein Alter anzusehen ist.

Ist jedes gute Logo also zeitlos? Man würde es sich wünschen. Echte Zeitlosigkeit existiert jedoch praktisch nicht. Sowohl Logodesigner als auch Kunden gehen auf der Straße ihrer eigenen Zeit und können nicht seitlich aus ihr ausbrechen. Deshalb ist auch die Vorstellung von Zeitlosigkeit (wie die Vorstellung von Realität, Realismus, Kunst oder Moral) zeitbedingt. Mode, die in den 80er-Jahren als zeitloses Design galt, ist aus heutiger Sicht leicht als das zu erkennen, was sie ist: Mode aus den 80er-Jahren. Und so lassen sich heute zwar mit etwas Gespür allzu flüchtige Trends erkennen und ausschließen – echt zeitlos wird Design dennoch nie sein.

Der Schluss daraus ist klar: Auch das beste Design muss seiner Zeit angepasst werden, damit ein Unternehmen nicht lebenslänglich im Stil seiner eigenen Gründerzeit herumläuft. Um die Kontinuität zu wahren, lassen viele große Unternehmen ihren Auftritt regelmäßig, aber vorsichtig überarbeiten. Das hat auch den Vorteil, dass altes und neues Design durchaus eine Zeit lang koexistieren können, ohne einander zu konkurrenzieren. Der Öl-Multi Shell praktiziert dieses Modell sehr erfolgreich. Manchmal verändert sich ein Unternehmen jedoch so sehr, dass auch das beste Lifting zu wenig ist. Shells Konkurrent BP zum Beispiel fusionierte 1998 mit Amoco und investierte so viel in Alternativenergien, dass der alte Auftritt einfach nicht mehr passte. BP positionierte sich mit dem Helios-Logo als moderner Energiekonzern. Mit Erfolg, wie die stetig steigenden Imagewerte des Unternehmens zeigen.

Es lohnt sich also, hin und wieder zu überprüfen, ob der Auftritt eines Unternehmens noch zeitgemäß ist. Und zu sehen, ob sich die tatsächliche Identität des Unternehmens und sein Auftritt möglicherweise auseinander entwickelt haben.

8.5.06

Eye Catcher

Jeder Mensch in einem Industrieland ist täglich zwischen 1.500 und 7.000 Werbeimpulsen ausgesetzt – die Zahl variiert je nach Schätzung, Studie und Quelle. Vom Logo auf der Zahnbürste über die Plakate auf dem Weg zur Arbeit bis zum Werbespot im Fernsehen; lauter Impulse. Etwa vier Mal pro Minute melden sich also Auge und/oder Ohr mit einer Marke, die gemerkt werden soll. Um das Zahlenspiel noch etwas weiter zu treiben: Ein Mensch greift im Schnitt auf ein Vokabular von 50.000 Worten zurück. Würde ein Mensch also die ganze restliche Sprache vergessen und sich nur Markennamen merken, wäre trotzdem nach etwa zwei Wochen die mentale Festplatte voll.

Zum Glück für die geistige Gesundheit des Menschen filtert unser Gehirn die meisten dieser Eindrücke weg. Die Mehrheit landet am Rande unserer Aufmerksamkeit im Arbeitsgedächtnis und wird Millisekunden später durch den nächsten Eindruck überschrieben. In einem gnadenlosen Auswahlverfahren landet nur das im Langzeitgedächtnis, was für das Gehirn relevant erscheint.

Diese kognitiven Filter sind eine wesentlich größere Herausforderung für neue Marken als Popup-Blocker im Internet oder das Wegzappen aus der Fernsehwerbung. Die Marke muss im Brimborium der Eindrücke so viel Aufmerksamkeit erregen, dass sie so bewusst wie möglich wahrgenommen und mit der Zeit auch im Gedächtnis gespeichert wird.

Was bedeutet das für die Kreation von Logos? Logos müssen Eye-Catcher sein, ins Auge springen. Das wird zum Beispiel mit einem Irritationsmoment erreicht. Gute Logos sind zwar harmonisch und balanciert, vermitteln dem Gehirn aber im ersten Moment die Botschaft, dass da irgend etwas nicht ganz stimmt. Dadurch löst man einen zweiten Blick aus, der die Sache aufklärt. So hat das Logo des Projekts "Graz Zweitausenddrei" die erwartete Jahreszahl durch "0003" ersetzt. Das Auge wird auf die "falsche" Null und damit auf das zentrale Gestaltungselement des CD gelenkt.

Sinnvoll kann es auch sein, das Gehirn arbeiten zu lassen. Wenn man zum Beispiel einen Mörser nur andeutet, statt ihn realistisch darzustellen, komplettiert das Gehirn automatisch das Bild, um es verstehen zu können. Gute Logos können deshalb oft unterschiedlich gedeutet werden; positiv oder negativ, zwei- oder dreidimensional zum Beispiel. Das Bild kann umspringen und beschäftigt damit das Gehirn. Und womit sich das Gehirn beschäftigt, das wird auch leichter gemerkt.

Allerdings darf das Irritationsmoment dabei nicht zur Verwirrung werden. Verwirrende Zeichen filtert unsere Wahrnehmung mindestens so schnell wie irrelevante. Womit wir wieder bei dem Punkt wären, dass jedes gute Logo einfach ist.

2.5.06

Eines wie keines

In Deutschland sind derzeit über 1,25 Millionen Markenzeichen registriert, in Österreich dürften es nur unwesentlich weniger sein. Dazu kommen noch all jene Bildmarken- und Unternehmensnamen, die nicht registriert sind. Was bedeutet das für jemanden, der die Marke Nummer 1.250.498 entwickeln will? Es bedeutet, dass er sich mit folgendem Paradoxon herumschlagen muss: Es gibt nichts Neues mehr, da alles schon einmal gemacht und hundertfach kopiert wurde. Um aber aus dieser Masse der Zeichen herauszuragen, muss das neue Logo so einzigartig wie möglich sein.

Einzigartigkeit ist schon rein logistisch schwer zu erreichen. Ähnlichkeiten mit anderen Logos oder Markenzeichen können kaum ausgeschlossen werden. Nur eine kostenpflichtige Recherche beim Patentamt bringt mehr Klarheit in diese Sache. Es ist jedoch ein Ding der Unmöglichkeit, jeden Entwurf auf diese Weise abzutesten, um dann vielleicht wieder von vorne anfangen zu müssen.

Tatsächlich ist Einzigartigkeit aber keine Frage der Logistik, sondern einer der Einstellung. Viele Unternehmen wollen gar nicht einzigartig sein. Sie wollen wie die anderen aussehen, um die Erwartungen ihrer potenziellen Kunden zu erfüllen. In Wirklichkeit macht sich ein Unternehmen mit dieser Strategie aber nur verwechselbar und reiht sich ein in die lange Kette derer, die auch gerne so wären wie Firma X. Profitieren wird einzig und allein Firma X, die zuerst da war.

Wenn die Einstellung einmal stimmt, kommt auch die Logistik auf die Reihe. Tatsächlich hat es nämlich wenig Sinn, mehr als den eigenen Markt zu recherchieren. Sind es doch meistens die eigenen Mitbewerber und möglicherweise auch die eigenen Partner, von denen man sich als Unternehmen abgrenzen will und muss. Oft reicht schon eine einfache Recherche im Internet, um die Dos und Don'ts fürs eigene Logo sehr klar zu sehen.

Der beste Weg zur Einzigartigkeit ist jedoch kreative Disziplin. Das heißt: die ersten paar Ideen, die einem kommen, werden aufgeschrieben, skizziert und dann weggeworfen. Denn die ersten Ideen sind meistens so nahe liegend, dass sie jedem einfallen. Deswegen kein Yin-Yang fürs Esoterikgeschäft, keine Sonne fürs Altersheim, kein Baum für den Gärtner, keine Schere für den Friseur, keine ineinander verschachtelten Initialen. Alles schon zu oft gesehen. Und sollte die endgültige Idee noch nicht ganz einzigartig sein, dann wird sie zumindest auf einzigartige Weise umgesetzt. Damit stehen die Chancen gut, dass auch das Patentamt kaum ähnliche Logos finden wird.