23.2.06

Konsequent flexibel

Corporate-Design-Manuals sind bei den wenigsten Grafikern beliebt. Die Regelwerke der CD-Macher drängen einen, so denken sie, in ein Korsett, das an allen Ecken und Enden zwickt. Wie sagte es der Agenturgründer Konstantin Jacoby? „Regeln sind für die Werbung so hilfreich wie Krücken beim 100-Meter-Lauf.“ Auf der anderen Seite steht der berechtigte Wunsch von Unternehmen und ihren Marketing-Verantwortlichen, so konsequent und einheitlich wie möglich aufzutreten.

Regeln und Kreativität, Konsequenz und Flexibilität müssen sich jedoch nicht zwingend widersprechen. Der schlechte Ruf der CD-Manuals kommt nur daher, dass Corporate Design allzu oft mit dem Geist des Buchhalters betrieben wird: Der Computer kommt ins Anlagevermögen. Das Logo in die rechte obere Ecke. Die Umsatzsteuer beträgt 20 Prozent. Der Seitenrand 15 Millimeter.

So sehr Genauigkeit angebracht ist; das ist nicht der Sinn eines CD-Konzeptes. Es geht darum, grafische Leitplanken festzulegen, zwischen denen sich ein Gestalter frei bewegen kann. Diese Flexibilität ist notwendig, denn auch ein 100-seitiges CD-Manual kann nicht jede Eventualität voraussagen und vorherbestimmen. Eine Visitenkarte ist eben nicht dasselbe wie ein Plakat oder eine Autobeklebung.

Gutes Corporate Design schafft eine grafische Leitlinie, die den Spielraum festlegt und Möglichkeiten schafft statt Optionen zu verbieten. Das Ziel ist nicht, dass immer alles gleich ausschaut. Ziel ist ein „Look and Feel“. Das heißt: Jeder Mensch wird spontan aus zehn vorgelegten Drucksorten jene herausgreifen können, die zusammen gehören. Und das wird nur dann funktionieren, wenn das CD-Konzept ebenso flexibel wie konsequent ist.

7.2.06

High Concept

Der Begriff „High Concept“ kommt aus dem Hollywood der Siebzigerjahre und hängt eng mit der Erfindung des Blockbusters zusammen. High-Concept-Filme haben eine klare, leicht verständliche Handlung, die man in ein, zwei Sätzen zusammenfassen kann. Der Plot des Films wird geradlinig verfolgt, und jeder Charakter, jeder Dialog, jede Szene treibt ihn weiter. Dieser Reduktion auf der Produktionsseite steht eine Erweiterung auf der Marketingseite gegenüber. Die Idee des Films wird in einem groß angelegten Hype auf alles übertragen, was denkbar ist. Soundtracks, Spielzeug, Bücher, Events und Müslipackungen tragen die Story des Films in unseren Alltag. „Star Wars“ ist das berühmteste Beispiel.

Corporate Design sollte auch „High Concept“ sein. Die „Story“, also die zentrale Botschaft des Unternehmens, muss ebenso klar, einfach, nachvollziehbar und faszinierend sein wie jene eines Blockbusters. Eine Reduktion auf den Kern der Unternehmensidentität ist die Voraussetzung für ein gutes Logo, sonst bleibt es ziellos und inhaltsleer. Der Designer muss jedoch vor dem ersten Entwurf seinen Blick so weit machen wie es die Marketingleute in Hollywood tun. Wer wird das Design sehen? In welchen Medien wird es eingesetzt werden? Wie stehen die Mitarbeiter dazu? Welche Entwicklungen stehen in naher Zukunft an? Wie schaut der Mitbewerb aus? Welche Klischees und falsche Auffassungen kursieren über das Unternehmen? Lauter Fragen, die einen Einfluss auf das Designkonzept haben.

Nur so kann ein Konzept entstehen, das einen roten Faden durch den Auftritt eines Unternehmens zieht, das über Jahre und Jahrzehnte bestehen und sich in dieser Zeit auch weiterentwickeln kann. Sollte die erste Frage ihres Grafikers also „Wie soll das Logo denn aussehen?“ lauten, dann wäre das etwas zu kurz gegriffen. Corporate Design braucht das „High Concept“.

Mixed Messages

Wie entscheiden wir, ob uns ein Unternehmen sympathisch ist? Faszinierend ist ja, das wir das überhaupt tun, schließlich sind Unternehmen oft komplexe Gebilde, die nicht eine, sondern viele Persönlichkeiten haben. Nennen wir das mal Corporate Schizophrenia. Tatsächlich reduzieren wir als Konsumenten Unternehmen auf eine einzige Einheit, was ja das Glück aller Corporate-Identity-Strategen ist.

Mögen wir nun diese Persönlichkeit oder nicht? Viele Faktoren haben Einfluss auf diese Entscheidung. Am wichtigsten ist sicher, ob mir die Menschen, die für das Unternehmen arbeiten, sympathisch sind. Das hängt stark von ihrem Verhalten ab. Nehmen sie mich wahr? Hören sie mir zu? Helfen sie mir weiter? Dann gibt es die Eindrücke, die wir aus den Medien und von anderen Menschen mitnehmen: Werbung, Artikel, Berichte, Mundpropaganda. Und schließlich kann auch eine Farbe, ein Zeichen oder ein Bild darüber entscheiden, wie nahe uns ein Unternehmen ist.

Das Ziel eines Unternehmens ist es, bei seinem Zielpublikum ein einheitliches, positives Bild zu schaffen. Das geht nur dann, wenn das Unternehmen seine Identität kennt, seine Stärken in eine zentrale Botschaft verpackt und diese Botschaft konsequent kommuniziert. Das heißt, die drei Kommunikationskanäle (Verhalten, Werbung und Design) zu steuern und auf eine Linie zu bringen.

Wenn das nicht geschieht, sendet man widersprüchliche Botschaften. Wenn die Werbung Modernität versprüht, im Geschäft jedoch Alte-Tanten-Mief herrscht, dann ist das kontraproduktiv. Wenn das Erscheinungsbild positiv und freundlich ist, die Mitarbeiter aber wegen des schlechten Betriebsklimas unleidlich, wird das schöne Logo nichts nützen.

Corporate Identity zu kommunizieren heißt also, alle Kanäle (Corporate Behavior, Corporate Communication, Corporate Design) zu pflegen und konsequent eine Botschaft zu senden. Kurz: Halten Sie, was Sie versprechen.

Identitätskrise

„Ach, ihr macht Corporate Identity!“ So wird oft und gerne reagiert, wenn kreisrot im Gespräch ist. Die Reaktion ist verständlich, sie liegt aber ganz falsch. Wir machen keine Corporate Identity. Nicht, weil wir es nicht könnten, sondern weil niemand Corporate Identity „macht“.

Corporate Identity, also die Identität eines Unternehmens, existiert, wird gelebt und im besten Fall auf irgendeine Art und Weise beschrieben. CI ist etwas Abstraktes, das mit der Kultur und den Werten, der Geschichte und den Zielen eines Unternehmens zu tun hat. Sie ist der Charakter oder die Seele eines Unternehmens. Corporate Design „machen lassen“ würde heißen, zum Frisör zu gehen, um sich eine neue Persönlichkeit machen zu lassen.

Corporate Identity wird meistens mit den Werkzeugen verwechselt, mit denen ein Unternehmen seine CI kommuniziert. Die wichtigsten sind die Schulung, Betreuung und Förderung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Corporate Behavior), Kommunikation auf allen Ebenen (Corporate Communication, also z.B. Werbung, PR, Publicity, Promotion) und der optische Unternehmensauftritt (Corporate Design). Mit anderen Worten: das Verhalten, die Sprache und das Gesicht eines Unternehmens.

Die Verwechslung von Form und Inhalt geschieht nicht zufällig. Viele Unternehmen betreiben Corporate Identity tatsächlich nach der Frisör-Methode. Eine Telefonleitfaden für die Sekretärin, eine nette Werbekampagne und ein fetziges Logo, fertig ist die Corporate Identity. Tatsächlich schafft man so nur ein sehr oberflächliches Image, das oft in sich widersprüchlich ist und mit der gelebten Realität des Unternehmens nichts zu tun hat. Schon ein feines Kratzen an der Schminke bringt die hässliche Wahrheit ans Licht.

Das geschieht, wenn man Corporate Identity „macht“, statt sie zu leben.